„Teacher, you must learn me piano!“ –kennen gelernt habe ich
ihn, wie fast jeden anderen Schüler auch: Eines Tages stand er vor mir und
verlangte Unterricht, auf diese schamlos unhöfliche Art, die ich inzwischen
fast gewöhnt bin von Kindern, denen das Wort „bitte“ scheinbar fremd ist.
Wieder so einer, den ich in meinen Stundenplan schreiben und nie wieder sehen
würde. Dachte ich.
Statt um zwei kam er eine halbe Stunde später. Die Uhr, die
ich ihm zeigte konnte er nicht lesen, völlig aussichtslos. Leicht genervt fing
ich an, ihm etwas über Klavierspielen zu erzählen, während er ungerührt aus dem
Fenster starrte, um mich plötzlich auf etwas viel Interessanteres als das
Instrument vor uns hinzuweisen. „Teacher, teacher, guck doch mal!“ Ganz egal
was, ob es die anderen Kinder draußen, eine Spinne, meine Notenbücher waren,
alles war spannender als das, was ich zu erklären versuchte. „Teacher, guck mal
was ich kann!“ – Ach so, du kannst also schon Klavier spielen. Was mache ich
dann eigentlich hier? Er liebte wohl eher etwas experimentelle Musik, bei der
mir das Klavier schon fast Leid tat. Anfangs versuchte ich mein Bestes, um
seine Aufmerksamkeit zu erringen und auf das -meiner Meinung nach – Wesentliche
zu lenken. Länger als eine Minute konnte sich dieses Kind jedoch einfach nicht
auf eine einzige Sache konzentrieren. Ich ließ ihn also vor sich hin klimpern
und klimperte ein wenig mit. Improvisation –warum auch nicht. Hin und wieder
versuchte ich, ihm etwas zu zeigen, was er teilweise sogar begeistert
imitierte.
Auf diese Weise verbrachten wir also die erste
Klavierstunde. Ich war erleichtert, als ich diese hinter mich gebracht hatte,
mein Kopf dröhnte. Wieder so einer, der nach der ersten Stunde nicht wieder
erscheinen würde…
Am nächsten Tag war er wieder da, obwohl er laut Stundenplan erst Woche wiederkommen sollte. Von da an kam er täglich. Und blieb den ganzen Nachmittag lang. Sobald das Klavier frei war stürzte er sich darauf und ich musste ihn förmlich von dort fort zerren, um den Platz für andere Schüler zu räumen. Sobald von diesen einer nicht erschien, was des Öfteren mal vorkam, nutzte er die Zeit zum Spielen. Anfangs ging er mir eigentlich nur auf die Nerven. Irgendwann fand ich selbst Spaß an unserem „Drauflos-Improvisieren“ und er verstand nach und nach sogar, dass ein Instrument angenehmere Töne von sich gibt, wenn man nicht wild darauf herum hämmert. Bald akzeptierte er es sogar ohne Protest, wenn ich die Lautstärke des E-Pianos zurück drehte. Was mich am erstaunte: Julle schien nach und nach doch ein wenig Interesse für das zu entwickeln, was ich ihm zu erklären hatte. Dinge wie Notennamen lernte er mit der Zeit sogar recht gut. Vielleicht war er nicht unbedingt mein begabtester Schüler, doch das machte er durch seine Ausdauer auf jeden Fall wett. Ich fing an, ihn wirklich zu mögen. Seine Begeisterung war so rührend, dass ich ihn einfach nicht wegschicken konnte.
Am nächsten Tag war er wieder da, obwohl er laut Stundenplan erst Woche wiederkommen sollte. Von da an kam er täglich. Und blieb den ganzen Nachmittag lang. Sobald das Klavier frei war stürzte er sich darauf und ich musste ihn förmlich von dort fort zerren, um den Platz für andere Schüler zu räumen. Sobald von diesen einer nicht erschien, was des Öfteren mal vorkam, nutzte er die Zeit zum Spielen. Anfangs ging er mir eigentlich nur auf die Nerven. Irgendwann fand ich selbst Spaß an unserem „Drauflos-Improvisieren“ und er verstand nach und nach sogar, dass ein Instrument angenehmere Töne von sich gibt, wenn man nicht wild darauf herum hämmert. Bald akzeptierte er es sogar ohne Protest, wenn ich die Lautstärke des E-Pianos zurück drehte. Was mich am erstaunte: Julle schien nach und nach doch ein wenig Interesse für das zu entwickeln, was ich ihm zu erklären hatte. Dinge wie Notennamen lernte er mit der Zeit sogar recht gut. Vielleicht war er nicht unbedingt mein begabtester Schüler, doch das machte er durch seine Ausdauer auf jeden Fall wett. Ich fing an, ihn wirklich zu mögen. Seine Begeisterung war so rührend, dass ich ihn einfach nicht wegschicken konnte.
Abgesehen davon waren es jedoch vor allem die vielen
gemeinsam verbrachten Nachmittage, die ihn für mich zu einem ganz besonderen
Schüler machten. Jeden Tag betrachteten wir zusammen die kleinen Pflänzchen,
die ich in einer Eisschachtel ausgesät hatte, pflegten diese liebevoll und
verfolgten ganz gespannt deren Entwicklung. Während ich andere Kinder unterrichtete,
malte er still in einer Ecke Bilder mit den Buntstiften, die ich ihm gab. Bald
lag dort ein ganzer Stapel von Kunstwerken.
Herrlich waren auch die langen Gespräche, die ich mit Julle führte und
in denen ich ihm die Welt erklärte. Diese begannen mit Fragen wie: „Teacher,
was ist eigentlich Schnee?“ oder „Kannst du eigentlich auch so Klavier spielen
wie die ganzen Buren im Fernsehen?“ (Buren nennt er alle Menschen mit heller
Hautfarbe.)Meine Hautfarbe war natürlich besonders interessant: „Warum sind deine
Finger denn so rosa?“ „Warum sind deine Haare so weich?“… Er war ein sehr genauer Beobachter und machte
sich viele Gedanken über die Dinge und Menschen seiner Umgebung. „Sag mal, wo
ist denn eigentlich deine Mama?“ „Warum schlafen denn die Blumen?“ (Ich hatte
meine Pflanzen einen Tag lang nicht gegossen.) Mir machte es bald Spaß, diesem
wissbegierigen Kind Dinge zu erzählen. Über ihn selbst erfuhr ich nicht viel,
nur ab und zu erzählte er von seinem großen Bruder, der irgendwo weit im Süden
wohnt und einer Arbeit nachgeht, an die Julle sich nicht erinnern kann. Soweit
ich das verstanden habe, lebt er selbst in Tsumeb mit seiner Mutter zusammen,
die jedoch vor kurzem einen Unfall hatte und nach Oshakati ins Krankenhaus
gebracht wurde. Der Junge lebte seitdem bei seiner Tante.
An all diesen Nachmittagen ließ es sich nicht vermeiden,
dass ich ihn allein im Raum ließ. Vermutlich bin ich zu naiv, dass ich nach wie
vor zu viel Vertrauen in die Menschheit habe. Jedenfalls ließ ich meine Tasche
dort liegen. Eines Tages stellte ich fest, dass mir Geld gestohlen worden war. Wenig
später fehlte die Tasche mit den Buntstiften, von denen doch alle Schüler so
begeistert gewesen waren. Ich wollte es nicht glauben, aber es gab nur einen,
der den ganzen Nachmittag nicht den Raum verlassen hatte: Julle. Die Erkenntnis
tat mir in der Seele weh. Lange dachte ich darüber nach und beschloss dann, ihn
zur Rede zu stellen. Es fiel mir unglaublich schwer, ihn darauf anzusprechen.
Ich wollte ihn nicht verurteilen und unser besonderes Verhältnis nicht
zerstören. Trotzdem blieb mir nichts anderes übrig. Ich versuchte also ganz
vorsichtig nachzufragen, ob er vielleicht irgendetwas gesehen hatte… ich möchte
keine Namen wissen, derjenige soll die Sachen einfach unbemerkt zurück bringen.
-Er war es nicht, natürlich nicht. -Ich?? Nein, ich hab nichts gemacht! Wir
wussten beide genau, worum es ging. Ich war den Tränen nahe, Julle schien das
nicht zu beeindrucken.
So tragisch es ist, dies war vorerst das Ende unserer gemeinsamen Nachmittage. Ich stellte meine Tasche fortan im Büro ab und er traute
sich ein paar Tage lang nicht mehr, zu kommen. Bald brachte ich ihn wieder
dazu, wenigstens ab und zu seinem Unterricht zu erscheinen, doch danach verschwand
er meistens auch wieder. Seit dieser ganzen Geschichte sind schon einige Wochen
vergangen und inzwischen habe ich beschlossen, ihm die Sache nicht länger
nachzutragen. Vor ein paar Tagen tauchte Julle plötzlich wieder auf. Ich
versuchte gerade verzweifelt, zwei kleinen Vorschulmädchen zu erklären, wie man
eine Geige hält, wobei ich während ich mich um eine kümmerte, ständig Angst um
das Instrument der anderen haben musste… Da stand er plötzlich neben mir, korrigierte
geduldig die Bogenhaltung des anderen Mädchens und erklärte ihr die Namen der
Saiten.
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