Sonntag, 28. August 2011

Uuuuund Abflug!


Ein Jahr Namibia und plötzlich ist der letzte Abend gekommen, an dem die Koffer fertig gepackt und zugemacht sind. Die Stimmung zwischen uns Freiwilligen seltsam. Gemischte Gefühle. Wie wird es wohl sein, nach Hause zu kommen? So, wie man es sich monatelang vorgestellt hat oder ganz anders? Hat sich in Deutschland etwas verändert? Vielleicht ist man ja selbst inzwischen ganz anders geworden? Jeder hängt etwas seinen Gedanken nach.
Ein Jahr lang habe ich mich auf den Tag meiner Rückreise gefreut –morgen ist es soweit und ich bin nur noch verwirrt. So richtig kann ich es nicht fassen, es ist einfach unglaublich, dass es tatsächlich vorbei sein soll. Ähnlich wie die Ankunft in Namibia, wo alles viel zu schnell ging, mir alles unwirklich und wie ein vorkam –so ergeht es mir nun auch am Ende dieser Zeit. So ist das wohl, wenn man innerhalb weniger Stunden um die halbe Welt reist...

Auf jeden Fall bin ich unglaublich gespannt auf alles, was jetzt kommt. Im Moment kann ich es einfach überhaupt nicht einschätzen, aber ich werde ja sehen. Aber ich freue mich auf Zuhause, keine Frage! Ich freue mich auf euch alle in Deutschland und kann es kaum erwarten, bald da zu sein!!! 

Dienstag, 30.08.2011... Ankunft in Dresden!!!

Montag, 15. August 2011

Ein Jahr Tsumeb - und jetzt ?

Die Zeit rennt und da ich mir noch vorgenommen hatte, einige Dinge aufzuschreiben, so lange ich noch in Tsumeb bin, werde ich mich jetzt etwas ranhalten müssen... Heute in einer Woche werde ich schon auf dem Weg nach Windhoek sein, bis dahin sollte diese Wohnung vollständig ausgeräumt sein, meine Koffer gepackt und alle überflüssigen Gegenstände an Bekannte verteilt…
Im Rückblick auf ein ganzes Jahr Namibia, möchte ich doch wenigstens so etwas wie eine Bilanz -nein, das ist unmöglich, denn da würde ich vermutlich nicht mehr fertig mit schreiben. Momentan erwische ich mich selbst in meinem Alltag jedoch immer wieder beim Vergleichen: Wie wird das dann wohl in Deutschland sein? Besser, schlechter, anders? Um diese Dinge zusammen zu fassen, werde ich jetzt eine Liste aufstellen, die ich in den nächsten Wochen immer wieder ansehen, fortführen und 3möglicherweise völlig neu schreiben kann.

Dinge, die ich nicht vermissen werde…

  • das Essen, z.B. Weißbrot, das viele Fleisch, matschige Nudeln…
  • die Aufmerksamkeit, die mir als Weiße zuteil wird: dass mir auf der Straße jeder hinterher ruft, die  "Oshilumbu“-Rufe der Kinder, „Hey, give me 1 Dollar!“, „Gib mir deine Handynummer“, „Heirate mich!“, …
  • das nächtliche Krähen des Hahns vor meinem Fenster, das mir den Schlaf raubt
  • nach Sonnenuntergang das Haus nicht mehr verlassen zu können
  • die Minenluft, von der ich ständig Husten und Halsschmerzen bekomme
  • das Klamottenwaschen per Hand
  • das „Höflichkeits-Ja“, das man zu hören bekommen, wenn die ehrliche Antwort „Nein“ heißen würde
  • das unangenehme Gefühl der Metallfedern meiner Matratze in meinem Rücken
 
Dinge die ich vermissen werde: 
-    
  • morgens mit der Gewissheit aufwachen, dass draußen die Sonne scheint
  • meinen namibischen Namen „Maleika“
  • den täglichen Abschiedskuss von meiner kleinen Geigenschülerin Catrina
  • die 100 Frei-SMS pro Tag
  • unser herrlich improvisiertes Haus –nicht schön aber besonders-
  • Oshikandela –namibischer Trinkjoghurt
  • die „african time“ –es läuft eben alles etwas gemütlicher und ohne Hektik ab (Ich fürchte mit der Pünktlichkeit in Deutschland werde ich in Zukunft noch mehr Probleme haben.)
  • die Spontaneität -Dinge im Voraus zu Planen, hat ja sowieso keinen Sinn
  • viel Zeit zum Musikmachen, sowie die vielen mir dazu zur Verfügung stehenden Instrumente und anderen Musiker
  • von allen Menschen gegrüßt und mit Namen angesprochen zu werden –in Tsumeb kennt ja jeder jeden
  • das Schwätzchen mit der Dame am Postschalter, deren Namen ich nicht einmal kenne, ebenso mit den Security-Leuten usw.
  • die dicken namibische „Memes“ in langen bunten Kleidern
  • Sonntags noch schnell zum Supermarkt gehen können, wenn man was vergessen hat            
  • die tollen Briefe, Postkarten und Päckchen von Zuhause

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist nur eine Sammlung spontaner Einfälle, ein kurzer Abriss über meine gegenwärtige Sicht der Dinge. Wer weiß, wie ich das in drei Wochen sehen werde…

Samstag, 13. August 2011

"Kar - ne - val! Olé- Ola...!"


Mit riesengroßen Schritten geht meine Zeit hier in Tsumeb nun plötzlich dem Ende entgegen und eh ich es so ganz begriffen habe, werde ich wohl schon wieder im Flugzeug gen Heimat sitzen. Das was man so Zeitgefühl nennt, ist schon etwas sehr Seltsames, auf das man sich nicht verlassen sollte: Die ersten Monate hier zogen sich ewig hin, sodass die Vermutung nahe lag, ein Jahr sei eine ganze Menge. Nun aber kommt es mir im Rückblick lächerlich wenig vor und plötzlich fallen mir so viele Sachen ein, die ich in dieser Zeit versäumt habe und doch noch dringend tun wollte… Um zum Beispiel all die interessanten Orte des Landes zu sehen, die ich noch gerne bereisen würde, muss ich wohl eines Tages mit etwas mehr Freizeit und finanziellen Mitteln wiederkommen. Bei allen, die noch keine Postkarte von mir bekommen haben, muss ich mich an dieser Stelle entschuldigen...nehmt es nicht persönlich! Auch wollte ich doch noch so vieles aus meinem „namibischen Leben“ (-ja, es kommt mir tatsächlich vor wie ein ganz anderes Leben, das mit meinem in Deutschland wenig zu tun hat-) aufschreiben…

Ein ganz besonderes Phänomen in diesem Land habe ich am letzten Wochenende miterleben dürfen: den Karneval, der hier statt im Februar einfach im August gefeiert wird. 



Zugegebenermaßen habe ich in meinem Leben noch keinen richtigen Karneval gesehen, umso verrückter dass ich zu diesem Zweck erst nach Namibia gehen musste. Offensichtlich konnten sich die Einwanderer aus Deutschland wohl einfach nicht von dieser Tradition trennen und versuchen nun seit vielen Jahren, hier originalgetreu bis ins kleinste Detail einen deutschen Karneval zu imitieren. Was dabei herauskommt, ist eine etwas grotesk anmutende Veranstaltung:

„Und kommt ganz Afrika auch zu Fall,
In Namibia feiern wir trotzdem Karneval!“

Dieses Motto las ich auf einem der bunt bemalten Wagen des Karnevalsumzuges, an welchem wir als APC auch teilnahmen. Während alle anderen Gruppen ausschließlich aus Weißen bestanden, die in seltsamen Anzügen und mit Federhüten oder ähnlichem rufend und trinkend zu deutscher Volksmusik dem Publikum zuwinkten, fielen wir etwas aus der Reihe: Erst einmal fiel auf, dass ich die einzige Weiße war, zudem trugen die Marimba-Spieler bunte bedruckte Kostüme, unsere Musik ging in dem Lärm etwas unter, doch war sie jedenfalls alles andere als deutsch. Und hinter dem Wagen her tanzte eine Gruppe Mädchen barfuß in glitzernden Röckchen her. Im Kontrast zu den marschierenden deutschen Mädels in grün-weißen Kostümen mit weißen Stiefeln…



Unsere Prozession bewegte sich zwei Runden durch die Stadt, überall standen Menschen und winkten. Alkohol darf in Namibia nicht auf offener Straße getrunken werden, unter anderem deshalb lief das ganze wohl etwas gemäßigter ab, als das sonst der Fall gewesen wäre. Das dauerte etwa 2 Stunden, dann war die Veranstaltung im Grunde schon beendet. Für unsere Orchesteraufführung, die anschließend im Park stattfand, interessierten sich nur noch sehr wenige. Alles in allem: Es war ein Erlebnis. Vielleicht sollte ich nur so zum Vergleich doch einmal einen original deutschen Karneval besuchen.


Mittwoch, 3. August 2011

Julle - for someone very special...




„Teacher, you must learn me piano!“ –kennen gelernt habe ich ihn, wie fast jeden anderen Schüler auch: Eines Tages stand er vor mir und verlangte Unterricht, auf diese schamlos unhöfliche Art, die ich inzwischen fast gewöhnt bin von Kindern, denen das Wort „bitte“ scheinbar fremd ist. Wieder so einer, den ich in meinen Stundenplan schreiben und nie wieder sehen würde. Dachte ich.
Statt um zwei kam er eine halbe Stunde später. Die Uhr, die ich ihm zeigte konnte er nicht lesen, völlig aussichtslos. Leicht genervt fing ich an, ihm etwas über Klavierspielen zu erzählen, während er ungerührt aus dem Fenster starrte, um mich plötzlich auf etwas viel Interessanteres als das Instrument vor uns hinzuweisen. „Teacher, teacher, guck doch mal!“ Ganz egal was, ob es die anderen Kinder draußen, eine Spinne, meine Notenbücher waren, alles war spannender als das, was ich zu erklären versuchte. „Teacher, guck mal was ich kann!“ – Ach so, du kannst also schon Klavier spielen. Was mache ich dann eigentlich hier? Er liebte wohl eher etwas experimentelle Musik, bei der mir das Klavier schon fast Leid tat. Anfangs versuchte ich mein Bestes, um seine Aufmerksamkeit zu erringen und auf das -meiner Meinung nach – Wesentliche zu lenken. Länger als eine Minute konnte sich dieses Kind jedoch einfach nicht auf eine einzige Sache konzentrieren. Ich ließ ihn also vor sich hin klimpern und klimperte ein wenig mit. Improvisation –warum auch nicht. Hin und wieder versuchte ich, ihm etwas zu zeigen, was er teilweise sogar begeistert imitierte.
Auf diese Weise verbrachten wir also die erste Klavierstunde. Ich war erleichtert, als ich diese hinter mich gebracht hatte, mein Kopf dröhnte. Wieder so einer, der nach der ersten Stunde nicht wieder erscheinen würde…

Am nächsten Tag war er wieder da, obwohl er laut Stundenplan erst Woche wiederkommen sollte. Von da an kam er täglich. Und blieb den ganzen Nachmittag lang. Sobald das Klavier frei war stürzte er sich darauf und ich musste ihn förmlich von dort fort zerren, um den Platz für andere Schüler zu räumen. Sobald von diesen einer nicht erschien,  was des Öfteren mal vorkam, nutzte er die Zeit zum Spielen. Anfangs ging er mir eigentlich nur auf die Nerven. Irgendwann fand ich selbst Spaß an unserem „Drauflos-Improvisieren“ und er verstand nach und nach sogar, dass ein Instrument angenehmere Töne von sich gibt, wenn man nicht wild darauf herum hämmert. Bald akzeptierte er es sogar ohne Protest, wenn ich die Lautstärke des E-Pianos zurück drehte. Was mich am erstaunte: Julle schien nach und nach doch ein wenig Interesse für das zu entwickeln, was ich ihm zu erklären hatte. Dinge wie Notennamen lernte er mit der Zeit sogar recht gut. Vielleicht war er nicht unbedingt mein begabtester Schüler, doch das machte er durch seine Ausdauer auf jeden Fall wett. Ich fing an, ihn wirklich zu mögen. Seine Begeisterung war so rührend, dass ich ihn einfach nicht wegschicken konnte.


Abgesehen davon waren es jedoch vor allem die vielen gemeinsam verbrachten Nachmittage, die ihn für mich zu einem ganz besonderen Schüler machten. Jeden Tag betrachteten wir zusammen die kleinen Pflänzchen, die ich in einer Eisschachtel ausgesät hatte, pflegten diese liebevoll und verfolgten ganz gespannt deren Entwicklung. Während ich andere Kinder unterrichtete, malte er still in einer Ecke Bilder mit den Buntstiften, die ich ihm gab. Bald lag dort ein ganzer Stapel von Kunstwerken.  Herrlich waren auch die langen Gespräche, die ich mit Julle führte und in denen ich ihm die Welt erklärte. Diese begannen mit Fragen wie: „Teacher, was ist eigentlich Schnee?“ oder „Kannst du eigentlich auch so Klavier spielen wie die ganzen Buren im Fernsehen?“ (Buren nennt er alle Menschen mit heller Hautfarbe.)Meine Hautfarbe war natürlich besonders interessant: „Warum sind deine Finger denn so rosa?“ „Warum sind deine Haare so weich?“…  Er war ein sehr genauer Beobachter und machte sich viele Gedanken über die Dinge und Menschen seiner Umgebung. „Sag mal, wo ist denn eigentlich deine Mama?“ „Warum schlafen denn die Blumen?“ (Ich hatte meine Pflanzen einen Tag lang nicht gegossen.) Mir machte es bald Spaß, diesem wissbegierigen Kind Dinge zu erzählen. Über ihn selbst erfuhr ich nicht viel, nur ab und zu erzählte er von seinem großen Bruder, der irgendwo weit im Süden wohnt und einer Arbeit nachgeht, an die Julle sich nicht erinnern kann. Soweit ich das verstanden habe, lebt er selbst in Tsumeb mit seiner Mutter zusammen, die jedoch vor kurzem einen Unfall hatte und nach Oshakati ins Krankenhaus gebracht wurde. Der Junge lebte seitdem bei seiner Tante.


An all diesen Nachmittagen ließ es sich nicht vermeiden, dass ich ihn allein im Raum ließ. Vermutlich bin ich zu naiv, dass ich nach wie vor zu viel Vertrauen in die Menschheit habe. Jedenfalls ließ ich meine Tasche dort liegen. Eines Tages stellte ich fest, dass mir Geld gestohlen worden war. Wenig später fehlte die Tasche mit den Buntstiften, von denen doch alle Schüler so begeistert gewesen waren. Ich wollte es nicht glauben, aber es gab nur einen, der den ganzen Nachmittag nicht den Raum verlassen hatte: Julle. Die Erkenntnis tat mir in der Seele weh. Lange dachte ich darüber nach und beschloss dann, ihn zur Rede zu stellen. Es fiel mir unglaublich schwer, ihn darauf anzusprechen. Ich wollte ihn nicht verurteilen und unser besonderes Verhältnis nicht zerstören. Trotzdem blieb mir nichts anderes übrig. Ich versuchte also ganz vorsichtig nachzufragen, ob er vielleicht irgendetwas gesehen hatte… ich möchte keine Namen wissen, derjenige soll die Sachen einfach unbemerkt zurück bringen. -Er war es nicht, natürlich nicht. -Ich?? Nein, ich hab nichts gemacht! Wir wussten beide genau, worum es ging. Ich war den Tränen nahe, Julle schien das nicht zu beeindrucken.
So tragisch es ist, dies war vorerst das Ende unserer gemeinsamen Nachmittage. Ich stellte meine Tasche fortan im Büro ab und er traute sich ein paar Tage lang nicht mehr, zu kommen. Bald brachte ich ihn wieder dazu, wenigstens ab und zu seinem Unterricht zu erscheinen, doch danach verschwand er meistens auch wieder. Seit dieser ganzen Geschichte sind schon einige Wochen vergangen und inzwischen habe ich beschlossen, ihm die Sache nicht länger nachzutragen. Vor ein paar Tagen tauchte Julle plötzlich wieder auf. Ich versuchte gerade verzweifelt, zwei kleinen Vorschulmädchen zu erklären, wie man eine Geige hält, wobei ich während ich mich um eine kümmerte, ständig Angst um das Instrument der anderen haben musste… Da stand er plötzlich neben mir, korrigierte geduldig die Bogenhaltung des anderen Mädchens und erklärte ihr die Namen der Saiten.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Sister or Brother –from another mother?


“Hey, you are my sister, ne?” – meint einer meiner Schüler freundschaftlich und legt mir den Arm um die Schulter. „Wir sehen doch gleich aus, schau!“ fügt er hinzu, wobei er versucht, seine Nase langzuziehen, um die meine zu imitieren.
Auch wenn ich zumindest im APC nicht mehr ständig an meiner andere Hautfarbe erinnert werde –man scheint sich ja an mich gewöhnt zu haben- gibt es doch immer wieder Punkte an denen mir klar wird, dass ich eben anders bin und dass das für viele Kinder etwas sehr seltsames ist. Vermutlich haben sie sonst nicht so viel Gelegenheiten, die Eigenarten eines solchen Wesens aus der Nähe zu betrachten. Die Klavierstunden werden also genutzt, um dieses, also mich, ganz genau zu studieren. „Warum ist deine Haut denn da dunkler als da?“ –meint einer und betrachtet meinen Arm von der Außen- und Innenseite. „Und warum sind deine Finger so rot? Und deine Wangen?“ Ein kleines Mädchen stellt ganz erstaunt fest, dass sich an den Stellen, wo sie mit dem Finger auf meinen Arm drückt, ein weißer Fleck bildet, welcher sich anschließend rot verfärbt. Geduldig erkläre ich ihr, dass dieser am nächsten Tag vermutlich blau sein wird.
„Und weißt du was, Teacher?“  -Nein, was denn? „Wenn ein Weißer barfuß läuft, dann werden seine Fußsohlen ganz schwarz!“ – Ja, so ist das. Und wenn ein Schwarzer barfuß läuft, dann sieht man, dass seine Fußsohlen weiß sind. Verrückt.
„Und warum ist deine Haut so weich? Schau, meine ist viel rauer.“ –Das hat mit der Hautfarbe vermutlich nichts zu tun, sondern wohl eher mit meiner Handcreme und damit, dass man eben vom Klavierspielen anders als von Gartenarbeit keine aufgerissenen Hände bekommt.
Ganz besonders interessant sind aber immer die glatten Haare , die alles so unglaublich toll finden. „Teacher, can I touch your hair?“ –Darf ich deine Haare anfassen? Anfangs kam es tatsächlich vor, dass 10 Mädchen um mich herum standen, die alle in meinen Haaren wühlten und versuchten, mir kleine Zöpfe zu flechten. (Andere Freiwilligen mit längeren Haaren, die natürlich mehr Möglichkeit zum Frisieren boten, waren sogar noch beliebtere Zielobjekte solcher Aktionen.) Ein siebenjähriger Junge strich mir während einer Autofahrt doch tatsächlich eine halbe Stunde lang völlig fasziniert durch die Haare, während ich zu schlafen versuchte.
Eine Frage, die ich beinahe von jedem Schüler und Lehrer gestellt bekomme ist die, warum ich denn meine Haare abgeschnitten habe. „Why did you cut your hair??“ Für sie ist es völlig unverständlich, dass jemand freiwillig kurze Haare trägt. Die Frauen und Mädchen hier bringen in stundenlanger mühevoller Arbeit Kunsthaar so an, dass es beinahe echt aussieht, nur um keine kurzen krausen Locken haben zu müssen.
Scheinbar ist es für die meisten Menschen hier ebenso schwer, uns Weiße zu unterscheiden, wie es mir am Anfang mit den Schwarzen fiel. Obwohl wir meiner Ansicht nach völlig unterschiedlich aussehen, werden Friedemann und ich immer wieder gefragt, ob wir Geschwister sind, wir sähen uns doch so ähnlich -Im Übrigen wird mir diese Frage immer gestellt, wenn ich mit einer anderen weißen Person unterwegs bin. Als nun Katharina, meine Schwester, nach Namibia kam, erklärte man uns überall, wir sähen doch fast gleich aus, was man wie ich finde nicht gerade behaupten kann. Dass unsere Augenfarben etwas abweichend sind, mussten die meisten jedoch auch zugeben. Einer meiner Schüler hatte wohl etwas genauer hingeschaut und fragte mich ganz interessiert, warum meine Schwester denn hellere Haut habe, als ich. –Ja, das hat wohl mit der Sonneneinstrahlung in Namibia zu tun.
Dass ich mir hier ab und zu wie ein besonders exotisches Zoo-Tier vorkomme, daran wird sich wohl so bald nichts ändern. Nach wie vor bin ich die Deutsche, die aus einem seltsamen Land kommt, in dem es in den Vorstellungen Einiger nur Schnee und Eis gibt. (–„Was, ihr habt auch Sommer? Ich dachte, bei euch schneit es immer.“, meinte vor kurzem eine meiner Kolleginnen. ) Dennoch finde ich es irgendwie schön, von Menschen mit „Sister“ angesprochen zu werden und komme mir plötzlich gar nicht mehr fremd und anders vor.


Mittwoch, 22. Juni 2011

IALLOH!!! It´s your wedding day!

Was ist denn „typisch“ für Namibia? – Das ist wohl zu schwer zu beantworten, aber auf jeden Fall gibt es zwei wichtige Ereignisse, die hier besonders groß gefeiert werden: Beerdigungen und Hochzeiten. Um beides gibt es eine Menge Traditionen, die bei Ovambos, Damaras, Hereros und all den anderen sehr variieren. Beide laufen jedoch unter Beteiligung sämtlicher Freunde, Bekannten, Nachbarn ab, sodass es sich eher um ein Dorfereignis als eine private Feier handelt.
Am letzten Wochenende hatte ich die einmalige Gelegenheit, selbst Gast auf einer traditionellen Ovambo-Hochzeit zu sein! Eingeladen hatte uns, Carina und mich, ein Bruder des Bräutigams, den wir über einen Cousin dessen in Swakopmund kennen gelernt hatten. - Dass dieser dazu bevollmächtigt war, ist schon ein wesentlicher Unterschied zu einer deutschen Hochzeit: Es gibt keine beschränkte Teilnehmerzahl, keine vorbestellten Plätze mit Platzkarten im Restaurant und keine Gästeliste. Jeder, der Lust hat, kann kommen und so viele Freunde mitbringen, wie er möchte. An diesem besonderen Tag, ist man nicht knauserig – die Gastgeber füttern das ganze Dorf zuzüglich aller extra dafür Angereisten durch, schließlich heiratet man nicht alle Tage! (Während der Feier keimte in mir der leise Verdacht, dass diese Großzügigkeit für viele der Hauptanlass ihres Kommens war und die Anzahl der Gäste ohne das Angebot von kostenlosem Essen und Getränken nicht halb so groß wäre. Aber das ist nur eine gewagte Vermutung.)

Freitag Mittag brechen wir also in Tsumeb auf und fahren, mit vier anderen Menschen in den zu engen Kofferraum eines geschlossenen Pick-ups gequetscht nach Ondangwa, wo wir von Martin, dem Bruder des Bräutigams mit einem viel zu kleinen, zudem noch bereits mit vier Menschen und einer Menge Einkäufe gefüllten Auto abgeholt werden. Wie durch ein Wunder schaffen wir es, uns zuzüglich unseres Zeltes, unserer Schlafsäcke, Isomatten und sonstiger Gepäckstücke in den Kleinwagen zu platzieren, der somit vermutlich 10cm tiefer liegt. Der Weg führt aus der Stadt heraus, bis wir kurz darauf auf einen holprigen Sandweg abbiegen, der ins Nichts zu führen scheint. Am Wegrand sieht man ein paar Kinder Ziegen hüten, die uns begeistert zuwinken (die Kinder). Wir haben keine Ahnung, wo es eigentlich hingeht, aber nach etwa 15 Minuten Fahrt durch unbewohntes Buschland haben wir unser Ziel erreicht. Etwa 200m vor dem Haus werden wir zum Anhalten gezwungen, da der Weg von einem mit einer Kuh beladenen Anhänger verstellt wird.  Hier ist die Feier schon mächtig im Gange, zumindest werden wir begrüßt  von einer Gruppe von etwa 20 Ovambo-Memes (meme=oshivambo für Mama oder Frau) in traditionellen Ovambo-Kleidern, die ausgelassen tanzten, jubelten und mit ihren Pferdeschwanz-Wedeln winkten – ein Empfangskomitee. Zum ersten Mal höre ich den traditionellen Hochzeitsruf, einen schrillen Jubelschrei, der die Fröhlichkeit ausdrückt. „Ialloh!!“ hörte man auch von allen Seiten – Danke, danke! All diese zum Teil auch schon recht alten Frauen begrüßen uns überschwänglich, die meisten konnten kein Englisch und wir können stolz unsere wenigen Oshivambokenntnisse präsentieren. Einige fordern uns auf, mit ihnen zu tanzen und zu rufen und wir versuchen es ein wenig, was für große Heiterkeit sorgt. In all dem Trubel habe ich irgendwie das Gefühl, hier zwar fremd aber sehr herzlich willkommen zu sein. Ein schöner Empfang.

Tanzende Ovambo-Frauen mit Pferdehaar-Wedeln

Gemeinsam bewegte man sich unter fröhlichen Rufen auf das Haus zu:  Es ist eines dieser typischen Ovambo-Homesteads, welche aus vielen kleinen Hütten und Häusern bestehen, die zusammen gruppiert und mit Zäunen aus vielen Holzpfählen umrandet werden. Das ganze Gelände ist sehr verwinkelt, überall gibt es runde abgetrennte Bereiche zum Feuer machen, Kochen, zusammen sitzen…. Das Zuhause ist eine Kombination aus traditionellen Rundhütten gemischt mit europäischen Steinhäusern mit Blechdächern. Vermutlich schlafen die Älteren in Hütten, während jüngere Familienmitglieder sich an den Lebensstil der Städte anpassen und so ergibt dies eine verrückte Vermischung traditioneller und westlich geprägter Einrichtung, Lebensweisen, Gewohnheiten. Fließendes Wasser gibt es an mehreren Außenwasserhähnen, Strom wird zu besonderen Anlässen von einem Benzingenerator erzeugt. Normalerweise wird jedoch am offenen Feuer gekocht, sowie das Wasser zum „Duschen“ erhitzt. Das Leben spielt sich vor allem draußen ab, die mehr oder weniger geschlossenen Räume nutzt man zum Schlafen und Aufbewahren von Dingen. Als wir ankommen, ist der Platz überfüllt von Menschen. Kinder laufen herum, spielen oder helfen bei der Arbeit, Frauen sind eifrig mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt, ältere Herren sitzen auf Plastikstühlen und unterhalten sich Pfeife rauchend. (Frauen sieht man weniger tatenlos herumsitzen, das liegt wohl in der Tradition.) Wir weißen Neuankömmlinge werden von allen herzlich begrüßt und neugierig gemustert. „´Shilumbu, ´shilumbu!“ hört man einige Kinder rufen – Weiße, weiße! Ich frage mich, ob wohl jemals ein Weißer diesen Ort betreten hat. Vermutlich nicht. Jedenfalls sind wir eine große Attraktion und an Aufmerksamkeit fehlt es uns nicht. Wir werden in ein kleines Zimmer in einem Steinhaus einquartiert, wo sich eine Cousine oder Schwester des Bräutigams (hier unterscheidet man das eine nicht vom anderen) sofort unserer annimmt und uns ein bisschen herumführt. Von nun an gehören wir hier dazu und nehmen am Leben dieses Hauses teil, was sehr spannend, ungewohnt und irgendwie teilweise anstrengend ist – man will ja schließlich als Gast nicht unhöflich sein. Am Feuer bietet man uns gekochte Hühnerfüße und –köpfe an, die wir schließlich auch probieren – nichts Besonderes, aber essbar.

Szene aus dem Homestead: links die Kochstelle

Traditioneller "Baustil" mit Strohdach

Dann werden alle Hausbewohner zu einer Andacht zusammengerufen, zu der wir uns auf Plastikstühle in einem Innenhof setzen – etwa 40 Leute – und zuhören, wie ein Geistlicher eine halbe Stunde lang auf Oshivambo redet und aus der Bibel liest, ab und zu singt man ein paar Kirchenlieder. Inzwischen ist es dunkel. „Wollt ihr mitfahren?“, heißt es plötzlich. Wohin wird nicht verraten. Also klettern wir mit vielen anderen vorwiegend jungen Leuten auf die Ladefläche eines Pick-ups und fahren durch die plötzlich fürchterlich kalte Dunkelheit, während alle ausgelassen singen und rufen. Nach einer endlosen Fahrt erreichen wir, wie ich erfahre, das Haus der Brauteltern. Alle aussteigen! Nun wird vor dem Eingang des ziemlich großen Homesteads gerufen, herumgesprungen, getanzt, Mundharmonika gespielt. Das schmale Tor verstellt eine beleibte Meme, offensichtlich „kämpfen“  wir um Einlass. Das Ritual zieht sich in die Länge, bis der Eingang irgendwann freigegeben wird und wir laut rufend und halb tanzend einziehen. In ähnlichem Stil wird nun drinnen in einem halbrunden Innenhofweiter gefeiert und da es fürchterlich kalt ist, kann man gar nicht anders, als sich ein bisschen mit zu bewegen. Später bekommen wir traditionelles Ovambo-Essen, also Chicken und Mahangu-Pup, dazu gibt es Cola und Fanta.

Mysteriöses Ritual: Hier wird um einen geheimnisvollen Koffer herum getanzt...

Als wir in eine kleine runde, herrlich warme Hütte gerufen werden, bin ich sehr froh. Schließlich wird der Grund unseres Kommens deutlich: Vor einer Menge Augenzeugen wird in einem feierlichen Ritual das Brautkleid samt allen Zubehörs von Schuhen über die Blumenkinderkleider bis hin zum Deo einzeln aus einem Koffer ausgepackt und nach der Begutachtung durch alle Anwesenden wieder sorgfältig verpackt. Nun wissen wir also, welches Parfum und welche Hautcreme die Braut morgen auftragen wird. Als wir später wieder bei „unserem“ Haus ankommen, gibt es noch ein kleines Nachtmahl: gegrilltes Fleisch mit Mahangu. (- Was sonst?)
Am nächsten Morgen sind alle früh auf den Beinen und laufen beschäftigt hin und her. Schließlich ist das DER große Tag! Die Zeremonie in der Kirche soll um 9 Uhr beginnen, doch vorher gibt es noch viel zu tun. Unmengen von Essen müssen zubereitet werden. Gegen 9 Uhr waren Carina und ich zum Aufbruch bereit, doch damit waren wir scheinbar die Einzigen. „Wollt ihr euch nicht für die Kirche fertig machen?“ –„Ja, aber zuerst müssen wir unsere Arbeit beenden.“ Bevor nicht alles fertig ist, kann es nicht los gehen, so einfach ist das. Dann müssen eben alle Gäste warten. 

„It´s the happiest day, it´s your wedding day!“, tönt es aus dem Autoradio in voller Lautstärke, als wir endlich unterwegs sind. Eine Herde Kühe läuft gemächlich den Sandweg entlang, wir fahren langsam hinterher, Zeitdruck kennt man hier nicht. Um die Verspätung hätten wir uns keine Gedanken zu machen brauchen. Vor der Kirche, welche sich irgendwo viele Kilometer weiter im Busch befindet, stehen wir letztendlich ganze zwei Stunden, da das Brautpaar zuerst zum Standesamt muss und all die Formalitäten eben viel Zeit kosten. Die anderen Gäste treffen nach und nach ein und wir haben viel Zeit, uns mit dem Dress-code auseinander zu setzen. Die älteren Memes tragen traditionelle Ovambo-Kleider, die alle aus dem gleichen bunten Stoff geschneidert sind. Dabei gibt es ein Muster für die Mutter - und ein anderes für die Großmutter-Generation. Die übrigen Gäste hätten so gekleidet auch auf einer deutschen Hochzeit erscheinen können: Die Männer in Anzügen, jedoch kaum jemand in Schwarz. Die Brüder und Cousins des Paares weiß-silbern gestreift, Schwestern und Cousinen in beigen, sehr eleganten Kleidern. 

Angehörige der Braut -vorne die beiden Blumenmädchen

Das lange Warten drückt leider die Stimmung etwas. Lange sitzen wir in der Kirche, wo ein Lied nach dem anderen gesungen wird, bis endlich das Brautpaar auftaucht. Auch diese sind nach westlicher Tradition gekleidet. Nach dem feierlichen Einzug geht man sofort zur Zeremonie der Trauung über, welche sich nicht großartig von dem unterscheidet, was man so gewöhnt ist, abgesehen davon, dass ich kein Wort verstehe. Der Gottesdienst wird sehr lang, ist aber deutlich lockerer als ein deutscher. Es wird sich währenddessen auch unterhalten, über Liedwünsche diskutiert und zu vielen Liedern aufgestanden und sich bewegt. Die Frauen wedeln mit den Pferdeschwanz-Puscheln, welche alle dabei haben und trillern den Hochzeitsruf. Ein „Chor“ singt einen Glückwunsch – sprich: Alle Frauen stellen sich in den Altarraum und singen sehr begeistert und mehrstimmig, garantiert ohne jemals geübt zu haben. Eine Vertreterin der Großmutter-Generation, einer der Cousins, ein Vertreter der Vatergeneration… jeder hat etwas zu sagen und so zieht sich das Ganze in die Länge.

Feierlicher Einzug in die Kirche

Anschließend fahren alle zum Elternhaus der Braut, vor dem abermals eine endlose Zeremonie mit Singen, Tanzen, Mundharmonikas und Jubeltrillerrufen stattfindet. In einem langen Zug bewegen wir uns so unendlich langsam auf das Haus zu, die Männer singen Kirchenlieder, die Frauen stampfen und tanzen.

"Ialloh!!" -hier wird ausgelassen getanzt, ganz egal, wie alt man ist!

Vor dem Eingang wird Halt gemacht und nach einigen Liedern, Bibellesungen und einem Gebet beginnt die feierliche Überreichung der Geschenke für die Braut. Menschen kommen tanzend mit Körben auf dem Kopf, andere bringen in Weihnachtspapier eingewickelte Päckchen. (Was ich noch nicht erwähnt habe, sind die unzähligen Fotografen, die all diese Szenen – den ganzen Tag lang - in ein Blitzlichtgewitter verwandeln.)

Ja, auch ich gehöre zu den vielen Fotografen... 

Geschenkübergabe


In einem Zelt gibt es nun für etwa 100 ausgewählte Gäste (zu denen wir zählten) ein Buffet mit allen erdenklichen Salatarten, viiiel Fleisch, Nudeln, Reis, Pup… die Schwestern/Cousinen servieren um ein totales Chaos zu vermeiden, wobei die Teller so überladen werden, dass es völlig unmöglich ist, diese zu leeren. Etwas zu gut gesättigt brechen wir ziemlich bald wieder auf, denn nun geht es zum Haus des Bräutigams. Die Prozession zu diesem sowie die Zeremonie der Geschenküberreichung wiederholt sich in sogar noch etwas größerem Ausmaß. Mittlerweile ist es etwa 17 Uhr. Genau wie beim Elternhaus der Braut ist hier ein Festzelt aufgebaut, von innen aufwändig dekoriert, in dem nun festlich getafelt wird. Der offizielle Teil des Programms ist damit beendet und man geht zum Essen und Feiern über. Wieder kämpfen wir uns durch das gewaltige Buffet, bis wir uns kaum noch bewegen können. Inzwischen haben wir ein paar Mädchen kennen gelernt, die etwa in unserem Alter sind und so wird es noch ein lustiger Abend, der für uns aufgrund der unglaublichen Kälte relativ früh endet – jedoch nicht, bevor wir im Festzelt noch ein paar Tanzversuche unternomen haben.

Am nächsten Morgen sind wieder alle früh auf den Beinen, hier wacht man eben mit der Sonne auf. Es gibt jede Menge aufzuräumen und wir helfen alle mit, bis wir beiden Weißen uns gegen Mittag mit großem Hallo von allen verabschieden. Irgendwie ist es etwas schade, schon wieder zu gehen. So viele herzliche ältere Memes haben während dieser zwei Tage versucht, mit uns zu kommunizieren, obwohl sie kein Wort Englisch können und es war jedes Mal so rührend, wie sie sich mit Händen und Füßen verständlich machten und sich über ein paar unserer Oshivambo-Fetzen freuten. 

Abschiedsfotos...


Eine besonders herzliche Meme, oder besser gesagt Kuku (=Großmutter)