Mittwoch, 22. Juni 2011

IALLOH!!! It´s your wedding day!

Was ist denn „typisch“ für Namibia? – Das ist wohl zu schwer zu beantworten, aber auf jeden Fall gibt es zwei wichtige Ereignisse, die hier besonders groß gefeiert werden: Beerdigungen und Hochzeiten. Um beides gibt es eine Menge Traditionen, die bei Ovambos, Damaras, Hereros und all den anderen sehr variieren. Beide laufen jedoch unter Beteiligung sämtlicher Freunde, Bekannten, Nachbarn ab, sodass es sich eher um ein Dorfereignis als eine private Feier handelt.
Am letzten Wochenende hatte ich die einmalige Gelegenheit, selbst Gast auf einer traditionellen Ovambo-Hochzeit zu sein! Eingeladen hatte uns, Carina und mich, ein Bruder des Bräutigams, den wir über einen Cousin dessen in Swakopmund kennen gelernt hatten. - Dass dieser dazu bevollmächtigt war, ist schon ein wesentlicher Unterschied zu einer deutschen Hochzeit: Es gibt keine beschränkte Teilnehmerzahl, keine vorbestellten Plätze mit Platzkarten im Restaurant und keine Gästeliste. Jeder, der Lust hat, kann kommen und so viele Freunde mitbringen, wie er möchte. An diesem besonderen Tag, ist man nicht knauserig – die Gastgeber füttern das ganze Dorf zuzüglich aller extra dafür Angereisten durch, schließlich heiratet man nicht alle Tage! (Während der Feier keimte in mir der leise Verdacht, dass diese Großzügigkeit für viele der Hauptanlass ihres Kommens war und die Anzahl der Gäste ohne das Angebot von kostenlosem Essen und Getränken nicht halb so groß wäre. Aber das ist nur eine gewagte Vermutung.)

Freitag Mittag brechen wir also in Tsumeb auf und fahren, mit vier anderen Menschen in den zu engen Kofferraum eines geschlossenen Pick-ups gequetscht nach Ondangwa, wo wir von Martin, dem Bruder des Bräutigams mit einem viel zu kleinen, zudem noch bereits mit vier Menschen und einer Menge Einkäufe gefüllten Auto abgeholt werden. Wie durch ein Wunder schaffen wir es, uns zuzüglich unseres Zeltes, unserer Schlafsäcke, Isomatten und sonstiger Gepäckstücke in den Kleinwagen zu platzieren, der somit vermutlich 10cm tiefer liegt. Der Weg führt aus der Stadt heraus, bis wir kurz darauf auf einen holprigen Sandweg abbiegen, der ins Nichts zu führen scheint. Am Wegrand sieht man ein paar Kinder Ziegen hüten, die uns begeistert zuwinken (die Kinder). Wir haben keine Ahnung, wo es eigentlich hingeht, aber nach etwa 15 Minuten Fahrt durch unbewohntes Buschland haben wir unser Ziel erreicht. Etwa 200m vor dem Haus werden wir zum Anhalten gezwungen, da der Weg von einem mit einer Kuh beladenen Anhänger verstellt wird.  Hier ist die Feier schon mächtig im Gange, zumindest werden wir begrüßt  von einer Gruppe von etwa 20 Ovambo-Memes (meme=oshivambo für Mama oder Frau) in traditionellen Ovambo-Kleidern, die ausgelassen tanzten, jubelten und mit ihren Pferdeschwanz-Wedeln winkten – ein Empfangskomitee. Zum ersten Mal höre ich den traditionellen Hochzeitsruf, einen schrillen Jubelschrei, der die Fröhlichkeit ausdrückt. „Ialloh!!“ hörte man auch von allen Seiten – Danke, danke! All diese zum Teil auch schon recht alten Frauen begrüßen uns überschwänglich, die meisten konnten kein Englisch und wir können stolz unsere wenigen Oshivambokenntnisse präsentieren. Einige fordern uns auf, mit ihnen zu tanzen und zu rufen und wir versuchen es ein wenig, was für große Heiterkeit sorgt. In all dem Trubel habe ich irgendwie das Gefühl, hier zwar fremd aber sehr herzlich willkommen zu sein. Ein schöner Empfang.

Tanzende Ovambo-Frauen mit Pferdehaar-Wedeln

Gemeinsam bewegte man sich unter fröhlichen Rufen auf das Haus zu:  Es ist eines dieser typischen Ovambo-Homesteads, welche aus vielen kleinen Hütten und Häusern bestehen, die zusammen gruppiert und mit Zäunen aus vielen Holzpfählen umrandet werden. Das ganze Gelände ist sehr verwinkelt, überall gibt es runde abgetrennte Bereiche zum Feuer machen, Kochen, zusammen sitzen…. Das Zuhause ist eine Kombination aus traditionellen Rundhütten gemischt mit europäischen Steinhäusern mit Blechdächern. Vermutlich schlafen die Älteren in Hütten, während jüngere Familienmitglieder sich an den Lebensstil der Städte anpassen und so ergibt dies eine verrückte Vermischung traditioneller und westlich geprägter Einrichtung, Lebensweisen, Gewohnheiten. Fließendes Wasser gibt es an mehreren Außenwasserhähnen, Strom wird zu besonderen Anlässen von einem Benzingenerator erzeugt. Normalerweise wird jedoch am offenen Feuer gekocht, sowie das Wasser zum „Duschen“ erhitzt. Das Leben spielt sich vor allem draußen ab, die mehr oder weniger geschlossenen Räume nutzt man zum Schlafen und Aufbewahren von Dingen. Als wir ankommen, ist der Platz überfüllt von Menschen. Kinder laufen herum, spielen oder helfen bei der Arbeit, Frauen sind eifrig mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt, ältere Herren sitzen auf Plastikstühlen und unterhalten sich Pfeife rauchend. (Frauen sieht man weniger tatenlos herumsitzen, das liegt wohl in der Tradition.) Wir weißen Neuankömmlinge werden von allen herzlich begrüßt und neugierig gemustert. „´Shilumbu, ´shilumbu!“ hört man einige Kinder rufen – Weiße, weiße! Ich frage mich, ob wohl jemals ein Weißer diesen Ort betreten hat. Vermutlich nicht. Jedenfalls sind wir eine große Attraktion und an Aufmerksamkeit fehlt es uns nicht. Wir werden in ein kleines Zimmer in einem Steinhaus einquartiert, wo sich eine Cousine oder Schwester des Bräutigams (hier unterscheidet man das eine nicht vom anderen) sofort unserer annimmt und uns ein bisschen herumführt. Von nun an gehören wir hier dazu und nehmen am Leben dieses Hauses teil, was sehr spannend, ungewohnt und irgendwie teilweise anstrengend ist – man will ja schließlich als Gast nicht unhöflich sein. Am Feuer bietet man uns gekochte Hühnerfüße und –köpfe an, die wir schließlich auch probieren – nichts Besonderes, aber essbar.

Szene aus dem Homestead: links die Kochstelle

Traditioneller "Baustil" mit Strohdach

Dann werden alle Hausbewohner zu einer Andacht zusammengerufen, zu der wir uns auf Plastikstühle in einem Innenhof setzen – etwa 40 Leute – und zuhören, wie ein Geistlicher eine halbe Stunde lang auf Oshivambo redet und aus der Bibel liest, ab und zu singt man ein paar Kirchenlieder. Inzwischen ist es dunkel. „Wollt ihr mitfahren?“, heißt es plötzlich. Wohin wird nicht verraten. Also klettern wir mit vielen anderen vorwiegend jungen Leuten auf die Ladefläche eines Pick-ups und fahren durch die plötzlich fürchterlich kalte Dunkelheit, während alle ausgelassen singen und rufen. Nach einer endlosen Fahrt erreichen wir, wie ich erfahre, das Haus der Brauteltern. Alle aussteigen! Nun wird vor dem Eingang des ziemlich großen Homesteads gerufen, herumgesprungen, getanzt, Mundharmonika gespielt. Das schmale Tor verstellt eine beleibte Meme, offensichtlich „kämpfen“  wir um Einlass. Das Ritual zieht sich in die Länge, bis der Eingang irgendwann freigegeben wird und wir laut rufend und halb tanzend einziehen. In ähnlichem Stil wird nun drinnen in einem halbrunden Innenhofweiter gefeiert und da es fürchterlich kalt ist, kann man gar nicht anders, als sich ein bisschen mit zu bewegen. Später bekommen wir traditionelles Ovambo-Essen, also Chicken und Mahangu-Pup, dazu gibt es Cola und Fanta.

Mysteriöses Ritual: Hier wird um einen geheimnisvollen Koffer herum getanzt...

Als wir in eine kleine runde, herrlich warme Hütte gerufen werden, bin ich sehr froh. Schließlich wird der Grund unseres Kommens deutlich: Vor einer Menge Augenzeugen wird in einem feierlichen Ritual das Brautkleid samt allen Zubehörs von Schuhen über die Blumenkinderkleider bis hin zum Deo einzeln aus einem Koffer ausgepackt und nach der Begutachtung durch alle Anwesenden wieder sorgfältig verpackt. Nun wissen wir also, welches Parfum und welche Hautcreme die Braut morgen auftragen wird. Als wir später wieder bei „unserem“ Haus ankommen, gibt es noch ein kleines Nachtmahl: gegrilltes Fleisch mit Mahangu. (- Was sonst?)
Am nächsten Morgen sind alle früh auf den Beinen und laufen beschäftigt hin und her. Schließlich ist das DER große Tag! Die Zeremonie in der Kirche soll um 9 Uhr beginnen, doch vorher gibt es noch viel zu tun. Unmengen von Essen müssen zubereitet werden. Gegen 9 Uhr waren Carina und ich zum Aufbruch bereit, doch damit waren wir scheinbar die Einzigen. „Wollt ihr euch nicht für die Kirche fertig machen?“ –„Ja, aber zuerst müssen wir unsere Arbeit beenden.“ Bevor nicht alles fertig ist, kann es nicht los gehen, so einfach ist das. Dann müssen eben alle Gäste warten. 

„It´s the happiest day, it´s your wedding day!“, tönt es aus dem Autoradio in voller Lautstärke, als wir endlich unterwegs sind. Eine Herde Kühe läuft gemächlich den Sandweg entlang, wir fahren langsam hinterher, Zeitdruck kennt man hier nicht. Um die Verspätung hätten wir uns keine Gedanken zu machen brauchen. Vor der Kirche, welche sich irgendwo viele Kilometer weiter im Busch befindet, stehen wir letztendlich ganze zwei Stunden, da das Brautpaar zuerst zum Standesamt muss und all die Formalitäten eben viel Zeit kosten. Die anderen Gäste treffen nach und nach ein und wir haben viel Zeit, uns mit dem Dress-code auseinander zu setzen. Die älteren Memes tragen traditionelle Ovambo-Kleider, die alle aus dem gleichen bunten Stoff geschneidert sind. Dabei gibt es ein Muster für die Mutter - und ein anderes für die Großmutter-Generation. Die übrigen Gäste hätten so gekleidet auch auf einer deutschen Hochzeit erscheinen können: Die Männer in Anzügen, jedoch kaum jemand in Schwarz. Die Brüder und Cousins des Paares weiß-silbern gestreift, Schwestern und Cousinen in beigen, sehr eleganten Kleidern. 

Angehörige der Braut -vorne die beiden Blumenmädchen

Das lange Warten drückt leider die Stimmung etwas. Lange sitzen wir in der Kirche, wo ein Lied nach dem anderen gesungen wird, bis endlich das Brautpaar auftaucht. Auch diese sind nach westlicher Tradition gekleidet. Nach dem feierlichen Einzug geht man sofort zur Zeremonie der Trauung über, welche sich nicht großartig von dem unterscheidet, was man so gewöhnt ist, abgesehen davon, dass ich kein Wort verstehe. Der Gottesdienst wird sehr lang, ist aber deutlich lockerer als ein deutscher. Es wird sich währenddessen auch unterhalten, über Liedwünsche diskutiert und zu vielen Liedern aufgestanden und sich bewegt. Die Frauen wedeln mit den Pferdeschwanz-Puscheln, welche alle dabei haben und trillern den Hochzeitsruf. Ein „Chor“ singt einen Glückwunsch – sprich: Alle Frauen stellen sich in den Altarraum und singen sehr begeistert und mehrstimmig, garantiert ohne jemals geübt zu haben. Eine Vertreterin der Großmutter-Generation, einer der Cousins, ein Vertreter der Vatergeneration… jeder hat etwas zu sagen und so zieht sich das Ganze in die Länge.

Feierlicher Einzug in die Kirche

Anschließend fahren alle zum Elternhaus der Braut, vor dem abermals eine endlose Zeremonie mit Singen, Tanzen, Mundharmonikas und Jubeltrillerrufen stattfindet. In einem langen Zug bewegen wir uns so unendlich langsam auf das Haus zu, die Männer singen Kirchenlieder, die Frauen stampfen und tanzen.

"Ialloh!!" -hier wird ausgelassen getanzt, ganz egal, wie alt man ist!

Vor dem Eingang wird Halt gemacht und nach einigen Liedern, Bibellesungen und einem Gebet beginnt die feierliche Überreichung der Geschenke für die Braut. Menschen kommen tanzend mit Körben auf dem Kopf, andere bringen in Weihnachtspapier eingewickelte Päckchen. (Was ich noch nicht erwähnt habe, sind die unzähligen Fotografen, die all diese Szenen – den ganzen Tag lang - in ein Blitzlichtgewitter verwandeln.)

Ja, auch ich gehöre zu den vielen Fotografen... 

Geschenkübergabe


In einem Zelt gibt es nun für etwa 100 ausgewählte Gäste (zu denen wir zählten) ein Buffet mit allen erdenklichen Salatarten, viiiel Fleisch, Nudeln, Reis, Pup… die Schwestern/Cousinen servieren um ein totales Chaos zu vermeiden, wobei die Teller so überladen werden, dass es völlig unmöglich ist, diese zu leeren. Etwas zu gut gesättigt brechen wir ziemlich bald wieder auf, denn nun geht es zum Haus des Bräutigams. Die Prozession zu diesem sowie die Zeremonie der Geschenküberreichung wiederholt sich in sogar noch etwas größerem Ausmaß. Mittlerweile ist es etwa 17 Uhr. Genau wie beim Elternhaus der Braut ist hier ein Festzelt aufgebaut, von innen aufwändig dekoriert, in dem nun festlich getafelt wird. Der offizielle Teil des Programms ist damit beendet und man geht zum Essen und Feiern über. Wieder kämpfen wir uns durch das gewaltige Buffet, bis wir uns kaum noch bewegen können. Inzwischen haben wir ein paar Mädchen kennen gelernt, die etwa in unserem Alter sind und so wird es noch ein lustiger Abend, der für uns aufgrund der unglaublichen Kälte relativ früh endet – jedoch nicht, bevor wir im Festzelt noch ein paar Tanzversuche unternomen haben.

Am nächsten Morgen sind wieder alle früh auf den Beinen, hier wacht man eben mit der Sonne auf. Es gibt jede Menge aufzuräumen und wir helfen alle mit, bis wir beiden Weißen uns gegen Mittag mit großem Hallo von allen verabschieden. Irgendwie ist es etwas schade, schon wieder zu gehen. So viele herzliche ältere Memes haben während dieser zwei Tage versucht, mit uns zu kommunizieren, obwohl sie kein Wort Englisch können und es war jedes Mal so rührend, wie sie sich mit Händen und Füßen verständlich machten und sich über ein paar unserer Oshivambo-Fetzen freuten. 

Abschiedsfotos...


Eine besonders herzliche Meme, oder besser gesagt Kuku (=Großmutter)