Mittwoch, 13. Juli 2011

Sister or Brother –from another mother?


“Hey, you are my sister, ne?” – meint einer meiner Schüler freundschaftlich und legt mir den Arm um die Schulter. „Wir sehen doch gleich aus, schau!“ fügt er hinzu, wobei er versucht, seine Nase langzuziehen, um die meine zu imitieren.
Auch wenn ich zumindest im APC nicht mehr ständig an meiner andere Hautfarbe erinnert werde –man scheint sich ja an mich gewöhnt zu haben- gibt es doch immer wieder Punkte an denen mir klar wird, dass ich eben anders bin und dass das für viele Kinder etwas sehr seltsames ist. Vermutlich haben sie sonst nicht so viel Gelegenheiten, die Eigenarten eines solchen Wesens aus der Nähe zu betrachten. Die Klavierstunden werden also genutzt, um dieses, also mich, ganz genau zu studieren. „Warum ist deine Haut denn da dunkler als da?“ –meint einer und betrachtet meinen Arm von der Außen- und Innenseite. „Und warum sind deine Finger so rot? Und deine Wangen?“ Ein kleines Mädchen stellt ganz erstaunt fest, dass sich an den Stellen, wo sie mit dem Finger auf meinen Arm drückt, ein weißer Fleck bildet, welcher sich anschließend rot verfärbt. Geduldig erkläre ich ihr, dass dieser am nächsten Tag vermutlich blau sein wird.
„Und weißt du was, Teacher?“  -Nein, was denn? „Wenn ein Weißer barfuß läuft, dann werden seine Fußsohlen ganz schwarz!“ – Ja, so ist das. Und wenn ein Schwarzer barfuß läuft, dann sieht man, dass seine Fußsohlen weiß sind. Verrückt.
„Und warum ist deine Haut so weich? Schau, meine ist viel rauer.“ –Das hat mit der Hautfarbe vermutlich nichts zu tun, sondern wohl eher mit meiner Handcreme und damit, dass man eben vom Klavierspielen anders als von Gartenarbeit keine aufgerissenen Hände bekommt.
Ganz besonders interessant sind aber immer die glatten Haare , die alles so unglaublich toll finden. „Teacher, can I touch your hair?“ –Darf ich deine Haare anfassen? Anfangs kam es tatsächlich vor, dass 10 Mädchen um mich herum standen, die alle in meinen Haaren wühlten und versuchten, mir kleine Zöpfe zu flechten. (Andere Freiwilligen mit längeren Haaren, die natürlich mehr Möglichkeit zum Frisieren boten, waren sogar noch beliebtere Zielobjekte solcher Aktionen.) Ein siebenjähriger Junge strich mir während einer Autofahrt doch tatsächlich eine halbe Stunde lang völlig fasziniert durch die Haare, während ich zu schlafen versuchte.
Eine Frage, die ich beinahe von jedem Schüler und Lehrer gestellt bekomme ist die, warum ich denn meine Haare abgeschnitten habe. „Why did you cut your hair??“ Für sie ist es völlig unverständlich, dass jemand freiwillig kurze Haare trägt. Die Frauen und Mädchen hier bringen in stundenlanger mühevoller Arbeit Kunsthaar so an, dass es beinahe echt aussieht, nur um keine kurzen krausen Locken haben zu müssen.
Scheinbar ist es für die meisten Menschen hier ebenso schwer, uns Weiße zu unterscheiden, wie es mir am Anfang mit den Schwarzen fiel. Obwohl wir meiner Ansicht nach völlig unterschiedlich aussehen, werden Friedemann und ich immer wieder gefragt, ob wir Geschwister sind, wir sähen uns doch so ähnlich -Im Übrigen wird mir diese Frage immer gestellt, wenn ich mit einer anderen weißen Person unterwegs bin. Als nun Katharina, meine Schwester, nach Namibia kam, erklärte man uns überall, wir sähen doch fast gleich aus, was man wie ich finde nicht gerade behaupten kann. Dass unsere Augenfarben etwas abweichend sind, mussten die meisten jedoch auch zugeben. Einer meiner Schüler hatte wohl etwas genauer hingeschaut und fragte mich ganz interessiert, warum meine Schwester denn hellere Haut habe, als ich. –Ja, das hat wohl mit der Sonneneinstrahlung in Namibia zu tun.
Dass ich mir hier ab und zu wie ein besonders exotisches Zoo-Tier vorkomme, daran wird sich wohl so bald nichts ändern. Nach wie vor bin ich die Deutsche, die aus einem seltsamen Land kommt, in dem es in den Vorstellungen Einiger nur Schnee und Eis gibt. (–„Was, ihr habt auch Sommer? Ich dachte, bei euch schneit es immer.“, meinte vor kurzem eine meiner Kolleginnen. ) Dennoch finde ich es irgendwie schön, von Menschen mit „Sister“ angesprochen zu werden und komme mir plötzlich gar nicht mehr fremd und anders vor.