Sonntag, 28. November 2010

Regengeschichten

Monatelang klagte man hier über Hitze und Trockenheit, seit Mai war kein Regen mehr gefallen, jetzt regnet es beinahe jeden Tag. Ständig ist der Himmel wolkenverhangen und die vorher vertrocknete Buschlandschaft wird plötzlich immer grüner. 


Es kommt immer häufiger vor, dass ich morgens aufwache und feststelle, dass es heute sogar angebracht wäre, mit festen Schuhen und langer Hose aus dem Haus zu gehen. Dass es im Laufe des Tages dafür dann doch bald zu warm wird, spielt dabei keine Rolle. Ohne Frage, das Wetter ist herrlich. Gehe ich an einem völlig nasskalt verregneten Tag morgens zur Arbeit, so höre ich von den Menschen, die ich treffe als erstes sagen: „What a nice weather today!“ In Deutschland hätte man sich an einem solchen Tag über die Kälte und Nässe beschwert. Hier jedoch ist es wunderbar, tatsächlich einmal eine Jacke tragen zu können.
Dass der ständige Regen in vieler Hinsicht jedoch Probleme bereitet, kann man auch immer wieder feststellen.
Die Tour nach Otjiwarongo und zurück am letzten Freitag war dementsprechend abenteuerlich. Morgens brachen wir bei Sonnenschein zu viert mit dem Auto auf, zunehmend zeigten sich jedoch dunkle Wolken bis es nach einer Stunde Fahrt heftig zu regnen begann. Das allein sollte normalerweise kein Problem darstellen, solange die Scheibenwischer so funktionieren, wie es sich gehört. Beinahe erwartungsgemäß ist dies natürlich nicht der Fall, sodass nach kurzer Zeit der rechte Frontscheibenwischer, also der auf der Fahrerseite, unterhalb der Scheibe verhakt ist. Auf diese Weise können wir unmöglich die Fahrt mit unseren 120km/h fortsetzen, halten also am Straßenrand, wobei das Autos noch halb auf der Fahrbahn steht und somit wenige Zentimeter Abstand zu den vorbeirasenden Fahrzeugen hat. Aussteigen, im strömenden Regen den Scheibenwischer wieder zurechtrücken und die Fahrt fortsetzen. Zwei Minuten später müssen wir feststellen, dass der Scheibenwischer nun nach außen abdriftet und inzwischen außerhalb der Frontscheibe feststeckt. Die Sicht ist nach vorne ist gleich Null, also wieder anhalten und das Problem beheben. Eine Weile funktioniert es, dann wiederholt sich die Prozedur. Auf diese Weise bewegen wir uns nun also im Stop-and-Go-Modus, mit Stopps im 2-Minuten-Takt vorwärts. Durch das Öffnen des Fensters auf der Fahrerseite kann dieser während der Fahrt mit einer Hand den Scheibenwischer daran hindern, nach rechts auszubrechen und versuchen, ihn in seine richtige Position zurück zu schieben. Dass das Auto dabei einen kleinen Bogen fährt, sobald er dem Scheibenwischer einen Stoß gibt, ist nicht weiter bedenklich. 

Regen, Regen...

Schätzungsweise nach dem zehnten Stopp kommt jemand auf die Idee, man könne doch die Schrauben etwas festdrehen und so das Problem eventuell lösen. Werkzeug haben wir natürlich keines dabei, stellen uns also auf die Straße, um die herannahenden Fahrzeuge um Hilfe zu bitten. Die Meisten lassen sich dadurch jedoch nicht beeindrucken -warum denn die Geschwindigkeit zurücknehmen? Diese Verrückten werden schon aus dem Weg springen. Der Einzige, der schließlich anhält, ist ein weißer Bure in einem schicken Geländewagen, der sofort sein Multi-Tool auspackt und sich an unserem Auto zu schaffen macht. Der Erfolg ist grandios, wir können nun ganze drei Minuten ohne Unterbrechung fahren, bevor alles wieder beim Alten ist. Hat nicht jemand eine Schnur dabei, mit der man den Scheibenwischer festbinden könnte? Natürlich nicht. Sollen wir nicht lieber umdrehen und zurückfahren? -Da wir jedoch schon auf halbem Wege sind, gibt das wenig Sinn. Endlich kommen wir an eine Tankstelle, wo wir um geeignetes Werkzeug bitten und nun professionell ausgerüstet am Auto herumschrauben können. Der rechte Scheibenwischer ist nicht zu retten, wir tauschen ihn also schließlich einfach mit dem Linken aus, was gut zu funktionieren scheint. Das Problem ist gelöst, glücklicherweise werden wir es nun doch noch halbwegs rechtzeitig nach Otjiwarongo schaffen. Dass sich der nun linke, nicht mehr funktionstüchtige Scheibenwischer allerdings mit dem anderen verhakt, konnte ja keiner ahnen. Ich als Beifahrer versuche also durch das offene Fenster diesen auf der linken Seite festzuhalten, wobei mir langsam aber sicher die Hand abzufrieren droht. -Eine Lösung findet sich schließlich, indem wir den defekten Scheibenwischer einfach nach unten biegen und damit vollständig außer Gefecht setzen. Nach einer etwa dreistündigen, ereignisreichen Fahrt erreichen wir unser Ziel, hier ist von Regen natürlich weit und breit keine Spur.
Die Rückfahrt verläuft weitgehend ohne Zwischenfälle. Auf halbem Wege bekommen wir einen Anruf aus Tsumeb, wo es scheinbar einen Gewitterguss in einem Ausmaß gegeben hat, wie nie zuvor. (Oder wie Isai es ausdrückte: „The rain was visiting us.“ -Na dann richte ihm doch mal schöne Grüße von uns aus.) Das APC stehe unter Wasser, das Dach sei an zwei Stellen eingebrochen und der Unterricht falle heute vollständig aus. Na, wunderbar.
Wir fahren einer dunklen Wolkenwand entgegen, während hinter uns die Sonne scheint. So schlimm die Ausmaße des Unwetters sein mögen, diese Gewitteratmosphäre ist faszinierend.

Dem Regen entgegen

In Tsumeb angekommen sehen wir uns den Schaden an. Das Wasser, welches 20cm hoch in der Küche gestanden haben soll, ist inzwischen aufgewischt. Die Instrumente konnten glücklicherweise gerettet werden und das Dach, welches tatsächlich schlimm beschädigt aussieht, wird schnellstmöglich repariert. Die eigentliche Katastrophe haben wir also verpasst.

Am nächsten Tag findet das Graduation-Concert statt, das letzte Konzert diesen Jahres, in dem die Schüler, welche einen Test bestanden haben, auftreten und anschließend offiziell ihre Certificates überreicht bekommen. Seit mittags sieht der Himmel schon nach Regen aus, unsere Hoffnungen auf einen freien Abend erfüllen sich jedoch nicht, denn es bleibt vorläufig trocken. (Da das die Zuschauer unter freiem Himmel sitzen und lediglich die Bühne überdacht ist, sind solche Veranstaltungen sehr wetterabhängig.) Die Stimmung während des Konzertes ist dennoch herrlich, da der Himmel pausenlos von Blitzen erhellt wird, was in der Dunkelheit sehr eindrücklich ist. Ein starker Wind kündigt jedoch nach der Pause den kommenden Gewitterguss an während man den nahenden Regen beinahe fühlen kann. Sehr inoffiziell werden nun in aller Eile den restlichen Schülern im Schnellverfahren ihre Urkunden überreicht während sich die Bankreihen plötzlich schlagartig leeren und ein Großteil des Publikums hektisch das Gelände verlässt, um vor dem Wolkenbruch zu Hause zu sein. Nur der harte Kern bleibt da, um die Bühne abzuräumen, Instrumente und Technik in Sicherheit zu bringen. Bald fängt es zu regnen an, wir beeilen uns mit dem Aufräumen, halten einen Regenschirm über technische Geräte, während diese transportiert werden. Inzwischen gewittert es heftig und alle verbleibenden Schüler und Lehrer versammeln sich in der Küche, bei dem Wetter kann man unmöglich nach Hause laufen. Lis wird alle mit dem Auto nach Hause fahren. Wir bewegen uns also durch den Regen zum Ausgang, als es plötzlich stockdunkel wird. Stomausfall, ganz Tsumeb hat kein Licht mehr, sodass man kaum noch die Hand vor den Augen sehen kann. Glücklicherweise wird die Nacht regelmäßig von starken Blitzen erhellt, sodass eine Orientierung halbwegs möglich ist. Die Dunkelheit hält an und wir stehen auf der Straße während wir darauf warten, dass Lis mit dem Auto kommt. Anhand der Stimmen kann ich ungefähr ausmachen, wer die Menschen um mich herum sind. „Bei uns im Norden ist es nachts immer so dunkel. Darum können wir Ovambo uns auch so orientieren. Ich könnte dir auch jetzt noch sagen, welche Farbe das T-shirt hat, das du trägst.“ Das glaube ich dem Schüler, der mir das erzählt sofort, auch wenn mir das selbst unbegreiflich ist. Denn ich sehe nichts. Absolut nichts.
Lis´Auto ist für 8 Personen ausgelegt, es ist also kein Problem, alle 24 Leute darin unterzubringen. Zwar ist es etwas eng, dafür aber umso lustiger. Die Nacht ist vollkommen schwarz, vor uns fährt ein Auto ohne Scheinwerfer. Die Tour durch Tsumeb, bei Jeder einzeln nach Hause gebracht wird, ist abenteuerlich. Mir ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man sich im Dunkeln, bei stömendem Regen und nach wie vor defektem Scheibenwischer sowie durch die vielen Menschen völlig beschlagenen Scheiben auf hügeligen Schotterpisten, die teilweise zu Bächen geworden waren, zurechtfinden kann. Wir fahren durch die Location, soviel verstehe ich. Immer wieder ruft jemand „turn left“ , „turn right.“ oder „stop here.“und ich frage mich, wie die Leute denn wissen konnten, wo sie sich überhaupt befinden. Im Nachhinein hätte ich nicht einmal mehr sagen können, wo wir eigentlich langgefahren sind, in welche Richtung überhaupt...
Schließlich werde auch ich sicher zu Hause abgeliefert, wo ich mich glücklich schätze, eine Taschenlampe mit Handbetrieb zu besitzen. Im Bett liegend lausche ich dem anhaltenden Regen, bis gegen 12 Uhr plötzlich schlagartig alle Lichter wieder angehen. Wie gut, dass ich somit nicht im Dunkeln schlafen muss.

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